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von Triassammler » Sonntag 9. Mai 2021, 01:46
Hallo,
Wenn ich ein neues Steinkern-Heft bekomme, freue ich mich jedes Mal über die Vielfalt der verschiedenen Themen, sowohl was den Inhalt als auch Stil und Intention der Autoren angeht. Es ist wie eine Fossilienschachtel – man weiß nie was drinsteckt. Auch wenn viele der Themen weder geografisch noch stratigrafisch mit meinen eigenen Sammelschwerpunkten zusammenhängen ist es genau dieser Blick über den Tellerrand, den ich als bereichernd empfinde. Es stellt bei mir auch eine Verbundenheit mit all jenen Menschen her, die in Deutschland, in Europa, ja sogar weltweit mit ganz unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen Fossilien nachspüren, und die auch gerne über ihr Tun und ihre Erkenntnisse öffentlich kommunizieren möchten.
Das aktuelle Steinkern-Heft Nr. 45 geht für mich persönlich darüber hinaus. Da ist einmal der Artikel "Fossilien sammeln im Posidonienschiefer (Unterjura) von Holzmaden" von Kristof Kontermann und Andi Fichtner: Jahre, die für meine persönliche Sicht auf das Fossiliensammeln und meine sammlerische Praxis prägend waren, bin ich im Raum Holzmaden aufgewachsen. Dies zu einer Zeit, als es dort noch einige Steinbrüche mehr gab und das Betreten derselben noch deutlich einfacher war. Just vor einigen Wochen fragte mich ein Sammlerfreund nach Details zu einer Lokalitätsangabe im Raum Holzmaden, und ich antwortete ihm, dass für seine auf immerhin wenige hundert Meter genaue Angabe gleich drei, heute nicht mehr existente, Steinbrüche in Frage kämen, von etwa einem Dutzend, die zur Hochzeit des Posidonienschieferabbaus auf den Gemarkungen von Holzmaden, Ohmden und Schlierbach betrieben wurden. Tempi passati. Die Autoren lassen auch ihre Fundumstände und -orte durchblicken, neben dem Steinbruch Kromer als offiziell betriebenem Sammlersteinbruch sind dies vor allem Baustellen. Die Ausweisung des "Grabungsschutzgebiets Holzmaden" stellt dabei besondere rechtliche Anforderungen an Sammler, egal ob in Steinbrüchen oder auf Baustellen. Dazu gleich mehr.
Der Artikel "Praechlamys reticulata – die "exotische" Kammmuschel aus dem Oberen Muschelkalk" von Robert Ernst und Oliver Schmidt war mir nicht nur fachlich eine Freude, sondern auch noch einmal eine Art Wiedersehen mit einem geschätzten Freund, dessen Tod nicht nur bei mir eine tiefe, bis heute nachwirkende menschliche Lücke hinterlassen hat, und mit dem auch der modernen Erforschung der Germanischen Muschelkalks eine Koryphäe allzu früh entrissen wurde. Der Artikel ist exemplarisch für die strukturierte und akribische Arbeit der beiden Autoren, bei der man nicht mehr von einer Hobbybeschäftigung sprechen kann, sondern die echte Forschung nach wissenschaftlichen Prinzipien ist. Dafür sprechen allein schon die verfertigten Profile und das umfangreiche Literaturverzeichnis. Hier wurde nicht etwas zusammengesammelt oder nach Trophäen gegraben, hier wurde wissenschaftlich gearbeitet und sich dem Untersuchungsgegenstand auf alle erdenklichen Weisen genähert – und dies schließlich auch publiziert. Umso bedauerlicher ist es, bei den im Artikel gezeigten stratigrafischen Profilen den Hinweis „unpubliziert“ zu lesen. Ich wünsche Robert Ernst, dass er die Zeit findet, all sein Wissen und das, das ihm von Oliver überkommen ist, zur Veröffentlichung bringen zu können. Ich finde – ganz ohne Übertreibung – beide, Robert Ernst und Oliver Schmidt posthum, haben für ihre lebenslangen Bemühungen um Fragestellungen der Stratigrafie und Paläobiologie des Muschelkalks die Ehrendoktorwürde verdient.
So verschieden die beiden Themen sind, eines verbindet sie: Der private Fossiliensammler, der Hobbygeologe ist hier auf Feldern präsent, tätig und rührig, wo von der staatlichen, der akademischen Geologie und Paläontologie wenig zu sehen und zu hören ist. Zumindest in Baden-Württemberg, das sich mit Holzmaden und auch als eine klassische Muschelkalkregion zuvorderst angesprochen fühlen darf.
Regelmäßig, mehrmals im Monat, fahre ich auf der Autobahn A8 an der ICE-Neubaustrecke Stuttgart-Ulm entlang. Hier präsentiert sich mir ein Profil durch den gesamten Unterjura, auf einer Strecke von 30 Kilometern. Unglaubliche Abraumberge türmen sich auf den Baustellen – gut gesichert, mit strengstem Betretungsverbot. Mein Angebot an das Staatliche Museum für Naturkunde, als damals ehrenamtlicher Mitarbeiter bei entsprechender Beauftragung tätig zu werden, verlief ergebnislos. Ergänzende private Anfragen an den Bauherrn, die Deutsche Bahn, wurden mir abschlägig mit deutlichen Strafandrohungen im Falle der Zuwiderhandlung beantwortet. Immerhin für den Bereich des Grabungsschutzgebiets Holzmaden, der durch die Baumaßnahmen berührt ist, war anfänglich eine Begleitung durch Mitarbeiter (nicht: Ehrenamtliche) des Staatlichen Museums für Naturkunde angedacht, hat meiner Kenntnis nach letztlich aber nicht stattgefunden. So ist es denn außerordentlich begrüßenswert, wenn wenigstens einige Funde durch private Sammler vor der Zerstörung auf der Baustelle gerettet werden konnten. An diesem Punkt allerdings ist mein Interesse an dem Bauprojekt und eventuellen Fossilienfunden rundweg erloschen.
Es stimmt mich sehr nachdenklich, wie mich so der Eindruck beschleicht, dass es mit der Zusammenarbeit zwischen öffentlichem paläontologischem Denkmalschutz und erfahrenen und rührigen Fossiliensuchern in Baden-Württemberg nicht weit her ist. Und dass zwar in (Dauer-)Zeiten (dauer-)klammer Kassen beim Bodendenkmalschutz die Mitwirkung und die Beiträge der "citizen scientists" nötiger denn je sind, auf staatlicher Seite aber kein Verständnis für diese gegenseitige Abhängigkeit vorhanden zu sein scheint und erstaunlicherweise keinerlei Anstrengungen zur Hebung dieser wertvollen, dabei durchaus preisgünstigen Ressource gemacht werden. Mir scheint, dass von Seiten der Sammler auch einiges an reservierter, mitunter vielleicht sogar fragwürdiger Behandlung duldend hingenommen wird, um auch weiterhin zumindest ein Minimum an Akzeptanz durch die staatliche Denkmalpflege und die akademische Paläontologie zu erhalten. Und ich frage mich: Muss dieser Umgang miteinander so sein? Dass Hobbypaläontologen, Amateure – im besten und eigentlichen Sinne des Wortes Liebhaber ihrer Sache – nicht nur wertvolle Unterstützung bei der Rettung von Fossilien bei Bauvorhaben oder bei der Rohstoffgewinnung sein können, sondern auch mit wissenschaftlicher Methodik paläontologische Fragestellungen selbstständig bearbeiten können, zeigen einmal mehr die beiden Artikel im aktuellen Steinkern-Heft. Und sie sind nicht die einzigen in der Geschichte dieser Zeitschrift! Möge dies auch ein Wink in Richtung der akademischen Paläontologie sein, mehr Vertrauen denjenigen Hobbypaläontologen entgegen zu bringen, die ihre Unterstützung gerne anbieten würden. Dazu gehört auch die Bereitschaft, bestehende gesetzliche Regelungen zu prüfen und bei Bedarf zu modifizieren, wenn sie im Kontext einer solchen Zusammenarbeit sichtlich nicht praktikabel sind. Es ist widersinnig, Grabungsschutzgebiete auszuweisen, wenn darin Bauvorhaben nach Belieben und ohne wissenschaftliche Begleitung durchgeführt werden können, während aber die Suche nach Fossilien – die Rettung von Fossilien – in ebendiesen Baustellen für Privatpersonen ein rechtlich waghalsiges Unterfangen darstellt, schon aufgrund von Formulierungen wie, dass bei einem bodendenkmalverdächtigen Fund eine Präparation nicht begonnen werden darf. Wehe dem Sammler, der erst während der Präparation eines vermeintlichen Allerweltsfundes feststellt, dass vielleicht doch ein meldepflichtiges Objekt vorliegen könnte. Hier liegt die naheliegende Rettung im Verschweigen (Unterschlagen) oder Vernichten (Mülltonne). Solche am Schreibtisch gut gemeinten, in der Praxis aber beileibe nicht immer trennscharf anwendbaren Regeln gehören auf den Prüfstand einer gedeihlichen weil praktikablen Kooperation zwischen beiden Seiten. Ansonsten wird binnen einer Generation der staatliche Bodendenkmalschutz im Bereich der Paläontologie ein Ziel erreicht haben: Fossiliensammler werden sich an den wenigen Orten konzentrieren, wo sie – gegen Eintrittsgeld und Abtretungsregelungen an private Grundbesitzer, als Kunden von Unternehmern – keinen Schaden anrichten können weil sie keine relevanten Funde tätigen können, und die Bodendenkmäler werden im Boden verbleiben, bis sie entweder verwittern oder durch Baumaßnahmen und Rohstoffgewinnung zerstört werden. Zwar hat davon keine Institution etwas, es bleibt aber immerhin die Genugtuung, dass sich keine Privatperson daran bereichert.
Grüße,
Rainer