Zweimal Lithacosphinctes

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wasserfloh
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Zweimal Lithacosphinctes

Beitrag von wasserfloh » Samstag 18. April 2009, 14:25

http://www.steinkern.de/fossilien-aller ... egele.html

Hallo Victor,

mein lieber Jolly: Wenn Du so weitermachst, musst Du bald jedem einzelnen Orthosphincten-Individuum zumindest einen eigenen Morphotypen zubilligen. Ich habe großen Respekt vor der Genauigkeit, mit der Du die Malm-Ammos unter die Lupe nimmst. Aber meine Zweifel bleiben: Ist der Begriff "Morphotyp" nicht letztendlich nur eine Umschreibung für den Begriff "Individuum"? Erklär mir doch bitte, was den einen Begriff noch vom anderen unterscheidet.

Ich könnte ja jetzt hergehen und die einzelnen von Dir aufgelisteten Morphotypen immer weiter eingrenzen, also anhand immer spezifischerer Merkmale immer enger gefasste Gruppen von Morphotypen bilden. Am Schluss würde dann jedes Individuum einem eigenen Morphotypen entsprechen.

Du schreibst zum Lang-Ammoniten: "Die Abnahme der Hauptrippen von 37 auf 34 ist als gering zu bewerten" und er sei mit dem von Dir selbst gefundenen Lithacosphinctes "fast identisch". Warum stellst Du also nicht für den Lang-Ammoniten einen eigenen Morphotypen auf? Wo ziehst Du hier die Grenze? Wie weit kann ein "fast identisch" gehen, bis aus dem "fast" ein "nicht identisch", also ein eigener Morphotyp wird?

Wie gesagt, ich habe großen Respekt vor Deiner wissenschaftlichen und sorgfältig-genauen Aufarbeitung der Malm-Ammoniten. Nur eben mit Deiner Methodik komme ich nicht so ganz zurecht. Die führt m. E. nämlich irgendwann zwangsweise ins unübersichtlich-Uferlose.

Und dann noch eine Frage: Wo liegt der Unterschied zwischen Morphotypus und Variation?

Danke und lieber Gruß

Michael

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Victor Schlampp
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Beitrag von Victor Schlampp » Samstag 18. April 2009, 15:55

Hallo Michael,

vielen Dank für Deine Anmerkung.

Ziel meiner Ausführungen ist es ja, Belege zu zeigen, dass in einer bestimmten Fundschicht, eine Gattung in der Regel nur mit einer Art vertreten ist, die ein sehr großes skulpturelles Spektrum besitzen kann. Als weitere Problem kommt noch dazu, dass Männchen und Weibchen abgesehen der gleichen Innenwindungen auch noch vollkommen verschiedene Altersskulpturen ausbilden können.
Die sogenannten Morphotypen, man kann dazu auch Varianten sagen, gehen lückenlos ineinander über, finden sich aber in der älteren Literatur als eigene Arten bechrieben, da sie in ihrer Extremform skulpturell eigenständige Arten vortäuschen. Es mir wichtig, eine Brücke zu bauen, damit Sammler, die diese alten "Arten" kennen, verstehen, warum sie vermutlich nur Varianten darstellen und wozu sie eigentlich zu stellen sind.

Das Problem bleibt ja, dass die Ammoniten sich lückenlos entwickelt haben. Jede artliche Abgrenzung aufgrund morphologischer Kriterien ist damit subjektiv. Das von mir favorisierte Konzept arbeitet schwerpunktmäßig mit der Fundschicht.

Im unteren Malm Gamma 1 ist es bei den Orthosphincten so, dass in wohl 99 Prozent aller Individuen die Zahl der Hauptrippen mit wachsenem Durchmesser ebenfalls deutlich zunimmt. Jeder Sammler, der sich die Mühe des Rippenzählens macht und die Daten in ein Diagramm einträgt, hat die entprechenden Linien vor Augen.

Im mittleren Malm Gamma 1 treten erstmals in größerer Zahl Formen auf, bei denen die Rippenzahl gleichbleibt oder abnimmt. Hier wird die Trennlinie auch im Bereich der Gattung gezogen. Mit Ardescia desmoides, man kann auch Orthospinctes (Ardescia) dazu sagen, tritt im mittleren Gamma 1 erstmals eine Form auf, bei der eine deutliche Abnahme der Rippen festzustellen ist. Daneben gibt es Formen mit gleichbleibender Rippenzahl und sogar noch welche mit zunehmender. Trotzdem sagen die Chronostratigraphen: Alle Orthosphincten im mittleren Gamma 1, egal ob die Zahl der Rippen konstant bleibt, zu- oder abnimmt, gehören zu Ardescia desmoides, weil es zwischen den Formen alle nur erdenklichen Übergänge gibt.

Das heißt aber in der Konsequenz auch, weder Einzelexemplare ohne Kenntnis der Fundschicht sind damit artlich nicht mehr einzuordnen, es sei denn sie entsprechen per Zufall exakt den Maßen der jeweiligen Leitform. So ist beispielsweise der Holotyp zu Ardescia desmoides eine Variante, die nur sehr selten vokommt.

Die Morphotypen sind salopp gesagt Hilfskrücken für Sammler, die sich in dem Formenchaos, das nun plötzlich eine Art darstellen soll, nicht mehr zurechtfinden und gerne charakteristische Skulpturvarianten mit einem eigenen Namen benennen möchten. Man könnte das übertragen auf unsere heutigen Hunde so sehen: Obwohl der Bernhardiner und der Pudel unterschiedlich aussehen, gehören sie zu einer Art. Trotzdem hat man das Bedürfnis, ihnen unterschiedliche Namen zu geben.

Nochmals zurück zu den Orthosphincten. Angenommen ein Sammler findet im oberen Teil des mittleren Malm Gamma 1 eine Ardesica desmoides morf. polygyrata (so selten dieser Morphotyp auch in diesem Bereich ist), so ist dieser Ammonit trotzdem 1:1 identisch mit einem Orthosphinctes polygyratus aus dem unteren Malm Gamma 1. Dem Sammler kann ich nur schwer befreifbar machen, dass es sich bei seinem Stück um eine Ardescia desmoides handelt, da diese ja vollkommen anders aussieht, aber aufgrund der gleichen Fundschicht und im Rahmen der Variationsbreite genau hier einzuordnen ist. Und da ist meiner Meinung nach der Morphotyp sehr hilfreich, um zu sagen: es ist eine Extremvariante von Ardescia desmoides, die einem polygyratus aus der tieferen Schicht skulpturell gesehen noch sehr ähnlich ist.
Und hier bin ich wieder bei dem Artikel über die beiden Lithacosphincten. Ich habe natürlich den Wegeleschen stromeri im Hinterkopf und wenn ich die beiden Stücke sehe, sage ich mir "das sind sie".

Die früher angewandte Praxis, einer Art einfach eine größere horizontale Verbreitung einzuräumen, also etwa zu sagen, dass man Orthosphinctes polygyratus bis zum unteren Gamma 2 finden kann, hat sich als Irrweg herausgestellt. Genügend Material vorausgesetzt findet man nämlich ähnliche Formen auch im Gamma 3 und sogar Delta wieder, wobei die Masse der anderen Varianten sich durch ihre Skulptur beispielsweise eindeutig als Progeronien oder Discosphinctoiden identifizieren lassen.

Das heißt jedoch nicht, dass eine Art auf eine bestimmte Schicht beschränkt sein muss. Orthosphinctes polygratus etwa ist vom mittleren Malm Beta bis in den unteren Gamma 1 nachgewiesen. Es gibt hier bisher keine überzeugende Möglichkeit eine Entwicklung innerhalb der Art nachzuweisen, die zur sicheren Abtrennung verschiedener Gruppen berechtigen würde.

Nur als Anmerkung: Damit ist natürlich die Ausweisung des untersten Gamma 1 als Polygyratus-Subzone Humbug, da diese Art ja bereits in tieferen Schichten vorkommen. Leider zeigt sich der untere Gamma 1 derart resistent an Leitformen, dass ATROPS hier sozusagen zu einer Notlösung gegriffen hatte.

Hoffe, dass ich nichts durcheinander gebracht habe und Dir weiterhelfen konnte :wink:


Beste Grüße

Victor

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wasserfloh
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Beitrag von wasserfloh » Samstag 18. April 2009, 20:41

Danke Victor

für Dein ausführliches Eingehen auf meine Fragen. Jetzt hab ich doch einiges kapiert und muss feststellen, dass Du gar nicht so weit von meiner Ansicht, was die Artdefinition betrifft, entfernt bist wie ich bisher immer gedacht habe.

Du hast in Deinen Ausführungen zwei Sätze stehen, die mir aus dem Herzen sprechen:

"Jede artliche Abgrenzung aufgrund morphologischer Kriterien ist damit subjektiv."

Und:

"Die Morphotypen sind salopp gesagt Hilfskrücken für Sammler, die sich in dem Formenchaos, das nun plötzlich eine Art darstellen soll, nicht mehr zurechtfinden und gerne charakteristische Skulpturvarianten mit einem eigenen Namen benennen möchten."

Jetzt begreife ich, warum Du Dich einerseits soviel mit dem "Rippenzählen" beschäftigst und andererseits den Artbegriff doch recht flexibel handhabst.

Nachdem Du nun auf meiner Seite doch einige Missverständnisse ausgeräumt hast, kann ich Dir noch weiterhin viel Freude beim "Rippenzählen" wünschen :wink:

Mit den besten Sammlergrüßen

Michael

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